Jahrelang wurde nicht oder zu wenig gehandelt. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht am 8. Oktober mit seinem Nitrat-Urteil überraschend die Bundesregierung verpflichtet, ein wirksames Aktionsprogramm für den Gewässerschutz in Kraft zu setzen. Gemäß EU- Vorgaben war dies längst überfällig.
Das Nitrat-Urteil könnte jetzt eine Chance zur eingehenden Ursachenforschung sein. Doch wieder sind aller Augen nur auf die Landwirte gerichtet – als seien sie die alleinigen Urheber der Gewässer-Belastung. Die FREIEN BAUERN fordern ausdrücklich, dass auch andere mögliche Eintragsquellen für Nitrat - etwa Industrie, Verkehr, Abwasser – systematisch berücksichtigt und zur Verantwortung gezogen werden.
Die Einbeziehung aller Eintragsquellen würde auch die Möglichkeit bieten, eine Neubetrachtung- und Neubewertung der Roten Gebiete anzustoßen.
Der Umweltbericht zum ersten Entwurf des Landesentwicklungsplans (LEP) Sachsen-Anhalt zeigt z. B. auf, dass sich für den Zeitraum 2019 bis 2021 ein gewichteter Mittelwert zwischen 37,6 und 49,3 kg N/ha in den jeweiligen Landkreisen ergibt. Dieser Wert lag also bereits im Jahr 2021 weit unter dem für 2032 angestrebten Ziel von 70kgN/ha Nitratüberschuss. Die Daten in anderen Bundesländern dürften vermutlich ähnlich ausfallen.
Aus unserer Sicht ist die Datengrundlage unvollständig:
Nicht berücksichtigt wurde der Stickstoffverbrauch durch das Bodenleben sowie der Stickstoffbedarf zum Erhalt des Humusanteils. Gerade auf hochwertigen Böden liegt dieser Bedarf bei durchschnittlich ca. 80 kg N/ha und Jahr. Werden diese Werte einbezogen, wandelt sich der angenommene Überschuss in ein tatsächliches Defizit. Die Folgen: Ein Stickstoffmangel führt zu einer Unterversorgung des Bodenlebens, zu Humusabbau und einer verminderten CO2-Speicherkapazität des Bodens – im klaren Widerspruch zu den Zielen des Klima- und Bodenschutzes.
Wir fordern, dass bei der Ausweisung der Roten Gebiete der Stickstoffbedarf für Bodenleben und Humuserhalt zwingend einbezogen wird.
Auf dieser Grundlage müssen bestehende Ausweisungen überprüft und gegebenenfalls neu bewertet oder zurückgenommen werden.
Weitere Kritikpunkte:
Das Urteil bezieht sich auf die Gegebenheiten des Jahres 2018. Der exemplarisch herangezogene Umweltbericht zeigt jedoch eine vom Land Sachsen-Anhalt selbst
dokumentierte Entwicklung des Stickstoffüberschusses, die seit Jahren eine relativ konstante bis positive Tendenz aufweist, die nicht berücksichtigt wurde.
Zu Bedenken ist weiterhin, dass die Grundwasserneubildung ein langer Prozess ist, der sich über Jahrzehnte erstreckt, sodass Auswirkungen der reduzierten Düngung teilweise noch gar nicht erfasst werden können.
Laut Drucksache 349/22 wurde die in der zweiten Verordnung zur Änderung der Grundwasserverordnung vorgesehene Errichtung von 83 zusätzlichen Messstellen bis 2024 in Sachsen-Anhalt nicht umgesetzt. Ob andere Bundesländer ihrer Verpflichtung nachgekommen sind, ist unklar. Eine größere Anzahl von Messstellen würde zu einem exakteren Bild der Nitratbelastung führen, wodurch Rote Gebiete konkreter ausgewiesen werden könnten.
Die FREIEN BAUERN sehen in der aktuellen politischen und juristischen Lage eine wichtige Gelegenheit für eine sachliche Neubewertung der Ursachen von Nitratbelastung. Wir erwarten, dass Landwirte nicht weiterhin einseitig zur Verantwortung gezogen werden, sondern dass auch andere Sektoren bei der Ursachenforschung berücksichtigt werden.